22 Mai 2020

Ella und der CA- Offizier

Oma Ella erzählte mir,
nachdem die Rote Armee auch in der Bergstadt Zschopau in Sachsen
– Einzug gehalten hatte, musste die Bevölkerung mit ständigen
Übergriffen der Soldaten nach Nahrungsmitteln rechnen.

Die Befreier, wie man sie nannte,durchsuchten die Wohnungen in regelmäßigen
Abständen. Da auch bei den Bürgern der Stadt die Lebensmittel
sehr knapp waren, mussten diese immer auf der Hut sein, dass keine
ungebetenen Gäste erschienen. Die Familie Otto und Ella Schöne,
die in der Thumerstraße wohnten, hatten nach langem einmal

ein Viertelpfund echten Bohnenkaffee erstanden.

Ella freute sich schon darauf, zum Nachmittag ihrem Mann Otto

damit zu überraschen.
Und wie Ella sich am häuslichen Herd damit zu schaffen machte,

um eine Kanne Bohnenkaffee aufzubrühen, sich der Bohnen-duft

in der ganzen Stube verbreitete, hätte es ein schöner Nachmittag

werden können.

Erika ihre jüngste Tochter, saß vor dem Fenster und hielt
nach dem Vater Ausschau, der ja bald erscheinen musste aus der
nahe gelegenen Arbeitsstelle einer Spinnerei.

Doch plötzlich hörte Erika, quietschende Autobremsen direkt vor
dem Treppenaufgang, der hoch zum Haus führte. Erregt sprang sie
von ihrem Stuhl auf, um genauer auf die Straße sehen zu können,
die teilweise von einem Obstbaum verdeckt wurde. Sie erkannte
das Zeichen -CA (Советская Армия), dieses hatte Erika schon

öfters gesehen!

Dann lief Erika zur Mutter und rief: „Die Russen kommen!“
„Was erzählst du da?“ fragte die Mutter, ohne sich von ihrer

Arbeit ablenken zu lassen. Mach schnell Mutter!“, ihre Tochter

ließ ihr dabei keine Ruhe bis Ella selbst zum Fenster hin trat und

sich überzeugte.
Ein Stimmengewirr, das Ella nicht verstand, drang bis
hinauf in die Wohnung! So ein Auto stände immer vor dem Schul-

gebäude, berichtete Erika hastig.
Was die Russen bloß hier suchen?, fragte sich Ella.

Ella wusste vor lauter Aufregung nicht, was sie zuerst tun sollte.
Ihren Kaffee konnte Ella nicht mehr vor fremdem Zugriff retten,
das wurde ihr schnell bewusst.
Auch hörte sie schon schwere Soldatenstiefel die Holztreppe herauf
poltern, die zur schönen Wohnung führten.

Noch ehe sich Ella bewusst wurde, was um sie herum geschah,

standen ein Offizier und zwei Soldaten der -CA in der Stube.
Der Offizier verzog die Nasenflügel und sagte etwas in einer Sprache,

die Ella noch nie in ihrem Leben gehört hatte.

Achselzuckend stand sie vor dem Offizier, der einen
Blick auf ihren Herd geworfen hatte. Dieser wiederholte seine
Worte in einem gebrochenen Deutsch: „Kaffee!“

Ella nickte mit dem Kopf, auch standen ihr die Tränen nah.

Doch der Offizier lächelte vor sich hin, es kümmerte ihn nicht!

Warum auch.
“ Wo du Kaffee?“, fragte dieser.

Ella zeigte auf den Topf, der direkt vor seiner Nase stand.
Der Offizier schob Ella mit seiner Körperfülle einfach beiseite,
bestaunte die Kanne und zog den Kaffee-duft genussvoll in sich
hinein. Einen Kaffeefilter hatte dieser wohl auch noch nie zu
Gesicht bekommen -ganz sachte mit dem Zeigefinger berührte er
den Kaffeefilter und grinste über sein ganzes breites Gesicht.
Ella ließ aber kein Auge von ihm ab, immer mit einem Blick auf
ihre Kaffeekanne! Sie fand die Sache schon etwas komisch.
Der Offizier nahm den Kaffeefilter vom Topf- und mit einer
Gebärde deutete er darauf hin, dass er einen Löffel und
Zucker haben wollte.

Ella beeilte sich, das Gewünschte zu beschaffen
und stellte alles vor den Offizier hin.
Was mag nun kommen?, fragte sie sich vor lauter Angst.
Weiterhin gespannt blickte sie dem folgenden zu, sie musste
ja, ob sie wollte oder nicht.
Der Offizier entnahm ganz vorsichtig die vor ihm stehenden

Zuckerdose, schüttete diesen auf den Kaffeesatz, verrührte

beides zusammen mit dem Löffel.
Danach schob er die Mischung in seinen Mund,
dabei blickte er auf seine untergebenen Begleiter.
Diese standen jedoch die ganze Zeit ohne sich zu rühren
auf ihrem Platz. „Guter Kaffee…!“ sagte der Offizier,
strich sich dabei mit der linken Hand über den Bauch.
„ICH Kaffee essen, du Brühe trinken, charascho.“

Ella fiel ein Stein von Herzen, sie hörte nur dabei
heraus, dass sie ihren Bohnenkaffee selbst trinken
könnte.
Die drei Soldaten entfernten sich wieder, wie
sie gekommen waren, ohne auch nur noch einen weiteren
Kommentar von sich zu geben. Ella hörte nur noch ein:
„Doswidanja“ zum Abschied, doch sie wusste mit diesem
Wort nichts anzufangen.

Erika war in der Zwischenzeit
auch wieder aufgetaucht, sie hatte sich auf dem Dachboden
hinter dem Schornstein versteckt gehalten. Leise sagte
sie zu der Mutter: „Wenn wir das dem Vater erzählen,
wird der aber Augen machen, stimmtes, Mutter?“
Ella hatte sich langsam von dieser Begegnung mit den
Russen erholt und lächelte nur vor sich hin, wusste
sie doch selbst, was Hunger bedeutet.
———
Meine Großmutter gew. Ella Schönefeld geb. Müller,
geboren 1901 in Zschopau/Sachsen. gestorben 1988.

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Verfasst 22. Mai 2020 von Dieter Schönefeld in category "Kurzgeschichte

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